- Juni. Bloomsday.
Wien, 16. Juni 2012
Bloomsday Feier in der Art Lounge des Cafè Korb.
Wurde um eine Rede gebeten
und halte einen Trinkspruch:
Lasst uns das Glas heben auf James Joyce
und auf Leopold Bloom
den Annoncenakquisiteur aus Dublin
und auf dessen jungen Freund
den angehenden Schriftsteller Stephen Daedalus
den Bloom heute Nacht noch mitnehmen will
zu seiner Frau Molly
die dann am Ende nur noch sagen wird
„ich will ja ich will“
– was übrigens nicht die letzten Worte im Ulysses sind
wie behauptet wird; diese sind genau genommen:
„Triest – Zürich – Paris“
wo er diese kleine Novelle geschrieben hat.
Vorher trifft man Bloom und Daedalus in einem Dubliner Bordell
beschrieben im Circe-Kapitel des Ulysses
wobei sie eine Flasche Absinth leeren
das „grünäugige Ungeheuer“ wie Joyce das Getränk nennt
und wo Bloom seinen Neigungen nachgeht
mit Bella, der Chefin des Hauses
seine belle dame sans merci
die gerade sagt: Haltet ihn unten Mädels
bis ich mich auf ihn gehockt habe
und die wie die Zauberin Circe die Männer in Schweine verwandelt
– wozu es allerdings gar keiner Zauberei bedürfte
für schöne Frauen.
Jim Joyce sitzt dort melancholisch in einer Ecke
spielt seine Gitarre, wird gefragt
warum er den Ulysses geschrieben hat
wie er ihn geschrieben hat und antwortet nur:
Damit die Herren Professoren dreihundert Jahre lang
forschen können, was alles ich damit gemeint haben könnte.
In Dublin, wo der Bloomsday heute
ein Feiertag ist wie der St. Patricks Day
der einzige Feiertag der Welt offenbar
der einem Roman gewidmet ist
und wo Joyce am 16. Juni 1905
ein Date hat mit der schönen Nora Barnacle
dem Zimmermädchen aus Finns Hotel
an dem Tag habe sie ihn, wie sie später erzählen wird
zum Mann gemacht.
In Dublin also, beim legendären Bloomsday Rundgang
nach Aufenthalten in etlichen Pubs
treffend genannt: Pub crawling
lautet eine der Stationen auch
„sich am Strand von Sandymount
unanständigen Dingen hingeben“
– eine reizende Szene aus Joycens Version
von der kleinen Liebesgeschichte der Königstochter Nausikaa
mit dem schiffbrüchig an Land gespülten Odysseus.
Und immer wenn ich mit meinem Boot in Triest anlege
wo Joyce als Englischlehrer für Berlitz arbeitet
und begonnen hat, am Ulysses zu schreiben
trinke ich mit ihm und seinem Freund Italo Svevo
einige Gläser im Caffe degli Specchi
auf der Piazza Unita d’Italia
bis Nora erscheint um ihren Joyce abzuholen
und uns rügt, dass wir ihn wieder zum Saufen verführten.
Und wenn Nora richtig verärgert ist sagt sie zu Joyce:
Morgen lass ich unsere Kinder taufen und überhaupt
manchmal denke ich… ja, manchmal denke ich
du wärst besser Sänger geworden als Schriftsteller …
Auf ihre Stimme also, hoch geschätzter Maestro Joyce!
(zit. aus Alfred Zellinger, Flaneurgeschichten aus der imaginären Metropole Europas, Wien 2019)