Archive for Juni 2023

17.6.23 Badesommer

Juni 17, 2023

BADESOMMER

Vor dem Peloponnes kentert

ein mit Flüchtlingen überladenes Fischerboot:

500 Tote, überwiegend Frauen und Kinder.

„Und die Fische, Hummern und Seespinnen der Adria

haben lange keine so guten Zeiten gehabt wie jetzt.

In der südlichen Adria speisen sie gerade 500 Frauen und Kinder

aus einem gekenterten Fischerboot“

(frei nach Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit)

Kunstinstallation am Strand des Lido di Venezia

(zitiert aus Alfred  Zellinger, FAUSTINA DIE ERBIN

Wien 2022; Edition PEN bei Löcker,

ja, ein Faust III):

Menschliche Gebeine, die Knochen einer Hand

von der Sonne gebleicht, im Sand halb versunken.

Skelette und Teile von Skeletten

manche von Wellen zerbrochen, glatt geschliffen

ein Schädel möge da und dort aus dem Sand ragen.

dazwischen Liegen aus Teakholz

Badetücher drauf,

ein Abstelltischchen mit Cocktailgläsern

geschmückt mit Schirmchen

Badetücher und Cocktails in gedeckten Farben

wie am Privatstrand des benachbarten Excelsior.

Das Strandstück ist bloß durch Kordeln abgetrennt

man kann um es herum gehen, nicht hindurch.

Von der „Helena II“ her, Faustinas Boot

draußen vor Anker

klingt über das Wasser

Gustav Mahlers 3. Symphonie

erinnert an den sterbenden Aschenbach

am Strand von Venedig

mit den Zügen Gustav Mahlers

in Thomas Manns Novelle.

Mit deren 4. Satz, dem Misterioso

und den Worten Zarathustras

„O Mensch gib acht …“

wird das Strandstück umgangen

damit in einer Art Prozession eröffnet.

Dann greift Paris zur Gitarre:

BADESTRAND-BLUES                  E-Dur

Wie gut, dass die Brandung

Knochen zermahlt zu Sand

die Strände der Meere

sähen aus wie Friedhöfe

seit Jahrtausenden

Wie gut, dass man der Menschen Taten

vergisst im Strom der Zeit

wie könnte man sonst leben

tanzen und streben

unbeschwert seit Jahrtausenden?

Wie gut, dass der Menschen Schrift

festhält was geschieht

wer könnte sich sonst erinnern

um daraus, daraus – nichts zu lernen

seit Jahrtausenden

Wie gut, dass die Maschinen

jetzt lernen zu lernen

Wenn schon nicht die Menschen

so wenigstens ihre Maschinen

die nächsten Jahrtausende

Der Mensch sollte das Seil sein

gespannt zum Übermenschen

doch wird er zur Chimäre

aus Hardware und Software

in Jahrtausenden

Zum Verkauf vorgesehen sind

„Meditationsstücke Badestrand“

in zwei Formaten, zwei mal zwei Meter und ein mal ein Meter

liegend oder für Hängung vorgesehen

samt Sand, Knochenteilen und Fotos

platziert in flachen Wannen

eingegossen in Fiberglas

wie Zen-Miniaturen

das Wasser luftdicht abgeschlossen

wobei die dennoch zu erwartende Algenbildung

als natürlicher Alterungsprozess

in Kauf genommen wird.

Für den breiteren Verkauf sind vorgesehen

Miniaturen der „Strandstücke“, 100 mal 100 mm

etwas Sand und Knochen für den Schreibtisch …

Als Memento Mori werden überreichet

miniaturisierte Ausführungen der Strandinstallation:

kleine Skelette, geeignet als Multiples für zu Hause …

Die Memento Mori werden verteilt, Applaus

einige Gäste geben Bestellungen ab

andere beginnen, mit ihren Miniskeletten  zu spielen.

16.6.23 Bloomsday

Juni 16, 2023

Heute ist „Bloomsday“.

So lasst uns anstoßen

mit einem Glas Absinth

das „Grüne Ungeheuer“, wie er es nennt.

auf das Wohl von James Joyce

Treffe ihn, wie üblich, auf der Ponte Rosso in Triest

wo ich wieder mit meiner weißbesegelten Argo angelegt habe

auf dem Weg ins Caffè degli Specchi

wo er an einer kleinen Novelle zu schreiben beginnt

mit dem Titel „Ulysses“

die letztlich gut 800 Seiten umfassen wird.

„Über seine Heimat schreibt man am besten aus der Ferne“ sagt er.

Und so wird mir „Triest ist mein Ithaka“

zum Untertitel meines nächsten Buchs

FLANEUR AN EUROPÄISCHEN KÜSTEN

in dem ich über neue Mythen schreiben werde

einer „Heimat“ Europa

wie ich sie mir auf des Odysseus und des Aeneas Kursen ersegelte.

Edition des PEN im Löcker Verlag.

Nächstes Frühjahr.