GOETHES JOBS

publiziert in Happy Birthday, Goethe! Ein Amadeus-Lesebuch zum 250. Geburtstag, Wien 1999

Alfred Zellinger

Goethes Jobs

Zu Goethe fällt mir nichts mehr ein.
Ja, gut, der Faust!
Als Text.
Gelegentlich geschehen Inszenierungen, die Jahrzehnte in Erinnerung bleiben. Beim Faust ist das die von Gustav Gründgens, gesehen in den Sechzigerjahren, die ich immer noch vor Augen habe: minimalistisch, damit ihrer Zeit voraus, zeitlos.
Also nein, zu Goethe fällt mir sonst nichts mehr ein.
Obwohl ich vor kurzem in einer Diskussion seinen Namen aussprach, an seine Biografie erinnerte.
Bei einer Diskussion von Literaten unter sich.
Literaten unter sich sollten nicht diskutieren.
Eine schlechte Zeit für Künstler, sagte einer.
Vor allem für schaffende, ein anderer.
In dieser Gesellschaft kann man von seiner Kunst nicht leben.
Jedenfalls nicht würdig!
Und niemand fragt uns, niemand hört auf uns.
Und ein Dritter: Die bloß reproduzierenden Künstler, die Schmalzsänger und Pfeffertenöre, die Schauspielerhelden, die Dirigierstars und Regiebastler beziehen hohe Gagen.
Oder haben Pensionsansprüche, jedenfalls hierzulande.
Und die Sponsoren! Nicht der Rede wert.
Und der Staat? Tut immer zu wenig.

Die üblichen -berechtigten- Klagen der üblichen Literaten:
Kein Geld, kein Einfluß.
So ist diese Welt, so ist das Leben. Es war nie viel anders

Sponsoren als Ausweg?
Wir leben in einer Zeit des Sponsorings, sagt man; alle reden über Sponsoring, Wirtschaft und Kunst, Politik und Wissenschaft -es gibt beinahe nichts, was heute nicht einen Sponsor sich wünscht, es gibt beinahe nichts, was nicht gesponsert wird. Jemandem, der wie ich durchschnittlich vierhundert Sponsorwünsche im Monat schriftlich auf den Tisch bekommt, drängt sich der Eindruck auf, daß heute keine Idee, kein Projekt mehr ohne Sponsor zu verwirklichen ist. Die geflügelten Worte „Wir danken der Firma….“ sollen für Imagetranfer sorgen (tun es aber nicht, aber das ist ein anderes Kapitel).
So wächst -scheint es- eine Generation von Künstlern heran, vom hohen Ziel motiviert, Kunst zu machen, die gesponsert wird.
Die Rettung der Kunst  ist somit heute nicht mehr allein von den Künstlern zu erwarten, sagte ich, sondern  auch -vom Geschmack ihrer Sponsoren.
Aber: Darauf sollte man sich nicht zu sehr verlassen.

Wir leben ja in einer Zeit, in der – wie man sagt-  Banker am liebsten über die Kunst, Künstler dafür am liebsten übers Geld reden. Und das nicht unbedingt, weil offensichtlich jeder gern von dem spricht, was ihm am meisten fehlt.

Eine Lösung wäre vielleicht, sagte ich, daß Literaten zusätzlich einen Beruf ergreifen; davon könnten sie leben; leben um zu schreiben.
Und daß ihr mich recht versteht, ich meine nicht bloß einen“Brotberuf“, widerwillig, inkompetent und wenig motiviert ausgeübt und schlecht bezahlt; ich meine einen Beruf als Profession und als Passion, einen, bei dem der Literat Qualitäten unter Beweis stellen kann. Qualitäten die zu beruflichen Erfolgen führen, tun dies in der Regel auch in der Literatur.

Das hätte nicht nur den Vorteil, sagte ich, daß sich das Gejammer über die Finanzen erübrigt; es diente auch der Kunst selbst: Ja, es würde ihrer persönlichen Kunst guttun.
Unabhängig ist der Literat ja nicht, wenn er keinen andern Beruf als Schreiben hat, unabhängig ist er, wenn er beim Schreiben nicht ständig an seinen Lebensunterhalt denken muß. Unabhängig von Moden und Verlagen zum Beispiel; und von Kritikern.
Die wahre Autonomie des Künstlers läge darin, sich als Schreiber jederzeit sagen zu können: genaugenommen bin ich Manager, und umgekehrt als Manager: genaugenommen bin ich Schriftsteller -auch Distanz war immer vorteilhaft für Kunst.

Vor allem aber würde einer sich in der Welt, in der arbeitend er sich bewährt, an Plätzen, wo relevante Taten zu setzen sind, besser auskennen -um von ihr zu erzählen, wie sie ist, wie sie aber nicht erkannt wird.

Und so wie Goethe -damit eröffnete ich den Reigen der Goethe-Metaphern- auf dem Rücken seines Pferdes „Poesie“ und im Auftrag seiner Firma durch das Land ritt und beruflich wie poetisch gleichermaßen reflektierte, was er sah,  und so die Welt kennenlernte, nimmt der Manager-Schriftsteller morgens seine Maschine namens „Mozart“ oder „Johann Strauß“ nach Frankfurt , bewegt sich durch den Kontinent und reflektiert, den Laptop auf den Knien beruflich wie poetisch gleichermaßen, wobei das eine das andere vertieft.

Die Welt ist heute ja komplexer als je zuvor: ihre Technik, die Medien, die Informationsexplosion, die Globalisierung der Wirtschaft, die Virtualisierung der Phänomene, die Individualisierung der Massen, die Pluralisierung der Individuen, die Risikogesellschaft…wer nicht ein paar konkrete Fäden dieser Welt in der Hand hält, kann leicht den Überblick verlieren  -oder ihn nie gewinnen. Und in einer Zeit, die so komplex ist wie diese, muß die Frage erlaubt sein, ob der Künstler in seinem stillen Atelier oder einsam an seinem Schreibtisch noch imstande ist, die Welt zu erkennen wie sie ist -oder ob er nicht eher Gefahr läuft, einen Realitätsverlust zu erleiden. (Und so sieht gefeierte Literatur dieser Zeit auch aus, denkt man an die immer noch grassierende sogenannte ”Innerlichkeitsliteratur”.)

Allerdings erforderte dies auch eine Haltungsänderung beim Publikum wie bei den Kritikern: Bei uns glaubt man ja, wer einen anständigen Beruf hat kann kein anständiger Künstler sein. Es ist das eine Spezialität offensichtlich der deutschsprachigen Länder. Auch Journalisten, deren Beruf ja auch und vor allem mit Sprache zu tun hat, sollten grundsätzlich Schriftsteller sein dürfen. In den USA sind sie Pulitzer-Preisträger und oft auch Bestsellerautoren.

So etwa redete ich zu meinen Kollegen und redetete mich beinah um Kopf und Kragen. Na, die gaben mir Saures: Hohe Kunst nicht durch profane Tätigkeiten entweihen, nicht alles dem Mammon, der Wirtschaft unterordnen, das „große Werk“, die „große Form“ sei unmöglich nebenbei zu schaffen  usf.

In meiner Not kam ich wieder auf Goethe.

Der hatte doch ganz anständige Jobs, sagte ich; war auch ein Karrierist, ein Marketinggenie unbewußt wohl, betrieb wirkungsvoll seine Selbstvermarktung, knüpfte die richtigen Kontake, nutzte seine Seilschaften, spielte mit im Machtspiel seiner Zeit. Er hat nicht bloß als Frühstücksdirektor fungiert, sondern hohe Funktionen erreicht und erfüllt. Und hat doch bekanntlich -so nebenbei- einiges geschrieben.

Man wirft mir etwas wie Gottesfrevel vor, will mich vor die Inquisition, verbrennen.

Goethe bezog ein Spitzengehalt; mit tausendzweihundert Talern das zweithöchste im Land, dazu ein Bonus, Dienstwohnung mit Garten….er ist an die Firma gebunden und diese Bindung bleibt dauerhaft. Selbst seine Konkurrenten bescheinigen ihm „wahres Attachement und Liebe“, Engagement und Loyalität würde man das heute in Konzernen nennen. Er meint es ernst mit der Arbeit, sie ist ihm nicht nur Verlegenheit. Immer neue Aufgaben werden ihm übertragen, er ist stets verfügbar und er scheint das zu genießen; beschäftigt sich im Kollegium der Räte mit außenpolitischen Fragen, ist Vorsitzender der Wegebaukommision, der Kriegskommission, der Bergbaukommission, leitet später die Finanzverwaltung- deren Neuordnung ist seine herausragende Leistung; er rüstet sogar -den Unwillen seines Chefs riskierend- die kleine Armee des Landes ab, um die Finanzen zu sanieren. Sein Chef wünscht ihn als Mitglied des vierköpfigen Vorstands, er wird Mitglied des Geheimen Conseil, wird Staatsminister, später eine Art Kulturminister…

Ja, es sind ihm auch Flops passiert, wie wohl jedem erfolgreichen Manager heute: er will alte Silberbergwerke wieder in Gang setzen und so die Landesfinanzen sanieren; so beginnts bei ihm mit der Geologie.
Im Faust gelangs ihm leichter -mit Hilfe des Teufels.

Was mich nervt sind Wehleidigkeit, Zimperlichkeit, Betulichkeit, faule Ausreden. An die Arbeit also! Der Welt sich stellen, Doppelstrategien verfolgen -im Interesse des eigenen würdigen Lebens wie der -realitätstüchtigen- Kunst. Goethe  betrieb das lustvoll und erfolgreich; im Tagebuch (13,1,1779) heißt es:
”Der Druck der Geschäfte ist sehr schön der Seele; wenn sie entladen ist, spielt sie freier und genießt das Leben. Elender ist nichts als der behagliche Mensch ohne Arbeit.”

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Zitate aus Richard Friedenthal, Goethe. Sein Leben und seine Zeit, München 1982:

Eine Antwort to “GOETHES JOBS”

  1. The Real Book Says:

    Ein Mensch, der sich nicht zur Verfügung stellt, verfällt in Autismus, auch als Künstler, sofern er einer ist. Der Unwille, sich auch außerhalb künstlerischen Trachtens und Geschehens an bestimmte Existenzformen zu binden, sich an ihnen zu messen, ihre Herausforderung anzunehmen und an ihnen zu wachsen, erzeugt Larmoyanz, Feigheit, Unverbindlichkeit und eine Abstinenz vom wirklichen Leben. Der Atem des Lebens wird somit flacher, das Wesen der Menschen fremder und unbegreiflicher. Existenz schwingt nicht mehr. Auch Kunst verliert so ihre Aussage.

    Der Stillstand, den „Innerlichkeitsliteratur“ zuweilen vermittelt, entbindet auch von einer Teilhabe, – wen interessiert schon die andächtige Identifikation mit einem hypochondrischen Selbstbeobachter, der sich des Außenlebens entledigt (hat)? Nichts hingegen ist spannender als die vitalen Zeugnisse des Existierens, auch des/der anderen, – ohne deren Daseinszirkus bleibt man sich selbst als fader Spuk übrig und bekommt allmählich ein Papiergesicht. Und ein Magengeschwürl. Dann spricht man von Magengschwürlkunst oder Magengschwürldichtung (zB. Thomas Bernhard…).

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